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Dieser Beitrag erschien ursprünglich im Konflikt-Magazin.

Der Begriff des Intellektuellen ist trotz seiner häufigen Nutzung letztendlich nur schwer zu bestimmen. Ist jemand, der hauptberuflich Bücher schreibt oder schlaue Sätze in Talkshows ausspricht, gleichzeitig ein Intellektueller? Dürfen sich Journalisten oder Akademiker den Mantel des Intellektuellen überwerfen? Kurz gesagt: Wer ein Intellektueller sein kann und was dieser macht, ist nicht einfach zu definieren. Vor allem hinsichtlich unseres eigenen Lagers scheint diese Frage noch offen zu sein. Nicht ohne Grund warnen Medien wie TAZ oder DER SPIEGEL in den letzten Jahren vor den “Intellektuellen von Rechts”.

Blick von Links

Der systemtragende Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber ist sich sicher, dass es konservative Intellektuelle geben dürfte und spricht hier vor allem die Neue Rechte an:

“Neue Rechte” steht für eine Intellektuellengruppe, die sich hauptsächlich auf das Gedankengut der Konservativen Revolution der Weimarer Republik stützt, eher ein Netzwerk ohne feste Organisationsstrukturen darstellt und mit einer “Kulturrevolution von rechts” einen grundlegenden politischen Wandel vorantreiben will.

Armin Pfahl-Traughber für bpb.de

Nun scheint diese Definition auf den ersten Blick in Ordnung zu sein, wobei sie jedoch letztendlich nur deskriptiv ist und keine normativen Aussagen über den “Intellektuellen” an sich ausspricht. Kann man konservativ und ein Intellektueller überhaupt gleichzeitig sein? Schaut man auf den historischen Hintergrund dieses Begriffes, so scheint der Begriff des Intellektuellen vor allem im linken Spektrum beheimatet zu sein. Der französische Star-Autor und Philosoph Sartre definierte den Begriff folgendermaßen:

Ursprünglich sind die Intellektuellen also eine Vielzahl von Menschen, die einen gewissen Ruhm erworben haben aufgrund von Arbeiten, die auf Intelligenz beruhen (exakte Wissenschaften, angewandte Wissenschaften, Medizin, Literatur, etc.), und diesen Ruhm missbrauchen, um ihre Domäne zu verlassen und die Gesellschaft und die bestehende Ordnung namens einer globalen, dogmatischen (vagen oder präzisen, moralistischen oder marxistischen) Auffassung vom Menschen zu kritisieren.

(Sartre 1965: 92)

Sartre lädt den Begriff des Intellektuellen auf und gibt ihm einen normativen Hintergrund. Dadurch, dass Intellektuelle laut ihm Ruhm erworben müssten, um eben Intellektuelle sein zu können, kommt ein gewisser gesellschaftlicher Aspekt ins Spiel. Ohne die Affirmation der Gesellschaft – ohne begeistertes Publikum kann man schließlich auch keinen Ruhm ernten – scheint die Rolle des Intellektuellen unerreichbar zu sein. Ruhm und Anerkennung für einen Konservativen im Jahre 2020? Das klingt unmöglich. Auf diesen Punkt kommen wir später nochmal.

Geschichtliches – Histoire des intellectuels

Historisch betrachtet, wurde der Begriff des Intellektuellen das erste Mal in der Dreyfus-Affäre genutzt. Der Publizist ´Émile Zola veröffentlichte am Ende des 19. Jahrhunderts in einer liberalen Zeitung den Text “J’acuse!” (“Ich klage an”). In diesem von vielen Menschen unterstützten Aufruf kritisierte Zola das Geschehen um den jüdischen Offizier Dreyfus, welcher als angeblicher deutscher Spion verurteilt und verbannt wurde. Zola initiierte somit einen wahren Unterstützerkreis für Dreyfus, welcher von konservativen Gruppen um den führenden Theoretiker Charles Maurras als “Intellektuelle” beschimpft wurden. Die französische Rechte verachtete den Individualismus und das liberale Verständnis der Dreyfus-Unterstützer, welche angeblich jegliche Moral und Anstatt verloren hätten. Der Intellektuelle war für damalige Rechte also ein Verräter, jemand, der gegen konservative Werte – Familie, Disziplin und Autorität – agitieren oder zumindest den Abbau dieser Werte Vorschub leisten würde.

Fortan besaßen Intellektuelle in Frankreich Einfluss und Aufmerksamkeit. Ein verbindendes Moment der französischen Intellektuellen ist der gemeinsame Lebenslauf: Fast immer sind sie Absolventen der französischen Eliteuniversitäten. Die Bildungstradition der Grandes Écoles legt einen Wert auf eine breite philosophische Ausbildung, sei es der Rationalismus Descartes’, die Aufklärer Voltaire und Rousseau oder die klassische französische Literatur. Dementsprechend sind viele erfolgreiche Studenten im Sinne eines humanistischen Universalismus sozialisiert, das für eine weitere Karriere in Staat und Gesellschaft Frankreichs die Grundlage und eine Voraussetzung im Rekrutierungsmechanismus darstellt. So ist der aktuelle Präsident Macron ein Absolvent der École normale supérieure in Paris.

In den 50er und 60er wurde Frankreich als “Republik der Intellektuellen” bezeichnet, da eben jene eine tiefgreifende Macht und Ausstrahlung besaßen. Als zum Beispiel die Intellektuellen-Ikone Sartre öffentlich einen Aufruf gegen den Krieg in Algerien veröffentlichten, und viele Beamte und Personen des öffentlichen Lebens sich anschlossen, wagte der Präsident Charles de Gaulle nicht, Sartre strafrechtlich zu verfolgen und disziplinierte höchstens die Staatsbediensteten, welche Sartre öffentlich unterstützten. Den ganzen Vorgang kommentiere de Gaulle so, als wäre Sartre unantastbar: “Voltaire verhaftet man nicht”.

Klassenverrat

Analog zur Republik der Intellektuellen in Frankreich bezeichnete Fritz Ringer die Bundesrepublik Deutschland als Republik der Mandarine. Ebenso wie in Frankreich gebe es nach ihm einen strikten Mechanismus zur Rekrutierung neuer Intellektuellen und Elite, der auf Bildung und Wissen basieren würde:

Diese Bildungselite besteht aus Ärzten, Rechtsanwälten, Geistlichen, Staatsbeamten, Studienräten und Universitätsprofessoren. Die Intellektuellen des Mandarinentums (vor allem die Universitätsprofessoren) beschäftigen sich mit der geistigen Nahrung der Elite. Ihnen obliegt es, die Maßstäbe für den Eintritt in die Elite aufrechtzuhalten, und sie fungieren als deren Sprecher in kulturellen Fragen.

Anders als in Frankreich würde man in Deutschland aber einen Fokus auf konservative Werte legen und strikt anti-intellektuell sein. Es kommt also zum Gegensatz Deutschland und Frankreich, zwischen Mandarinen und Intellektuellen. Nun kann man diesen Vergleich für die Bundesrepublik bis ungefähr ins Jahre 1968 durchaus akzeptieren, da vor allem die Universitäten und deren Personal konservativ geprägt waren. Eine wissenschaftliche Karriere konnte aufgrund linker Einstellungen scheitern oder erst gar nicht beginnen.

In marxistischen Kreisen wurde die Rolle des Intellektuellen sehr diskutiert. So gab es schon bei Marx und Engels die Idee des Klassenverrats bürgerlicher Intellektueller, die aus Hass auf ihre eigene Klasse zum Proletariat überlaufen würden.1 Laut dem Marxisten Georg Lukásc kann ein Intellektueller nur dann revolutionär werden, wenn er aus seiner Klasse austritt, um am Klassenkampf der Arbeiter teilzunehmen. Solche und ähnliche Gedanken provozierten in den 1920er-Jahren auch ablehnende Reaktionen von bürgerlich-progressiven Denkern wie Julien Bendas, der sich gegen alle jene Intellektuellen aussprach, die dem demokratischen Universalismus abschworen und sich Projekten wie dem Sozialismus oder dem Nationalismus anschlossen.

Intellektuelle und Elite

An diesem Punkt lässt sich die Rolle des Intellektuellen sehr konkret charakterisieren: Oft ein Kind aus bildungsbürgerlichen Haus mit durchgehend humanistisch-universalistischer Erziehung und Ausbildung, welche oft im Engagement für linke Positionen endete. Dabei waren Intellektuelle wichtige Personen der Gesellschaft, deren Worte nicht zu ignorieren waren, vor allem westlich-liberalen Gesellschaften. Der Schritt zu einer Elite war also klein. Nicht selten wurde dabei der Widerspruch ignoriert, dass eben jene Intellektuelle die höchste Form der bürgerlichen Individualität und Freiheit genossen, die sie doch immer verteufelten. Pierre Bourdieu sprach diesbezüglich sogar von “Herrschenden in beherrschter Stellung”, analog zu Hegels Herr-Knecht-Dialektik. Kann also in diesem Sinne ein Konservativer oder Rechter ein Intellektueller sein?

Der Italiener Antonio Gramsci betonte, dass alle Menschen Intellektuelle seien, aber nicht jeder diese Funktion ausüben könne. Sein Beispiel: Wer ein Ei brät, ist noch lange kein Koch. Er definiert die Rolle auf einer funktionalen Ebene, da es ihm vor allem darum geht, wie in einer Gesellschaft Macht und Einfluss hergestellt, verteidigt und durchbrochen werden. Intellektuelle arbeiten laut Gramsci an jenen Fragen, sie kreieren Strategien, Ideen, Taktiken, Begriffe. Er nutzt diesen Begriff nicht in Verbindung mit einer Elite, sondern in Bezug auf die Frage, wie politische Kräfte sich in Gesellschaften zusammenschließen und formieren. Intellektuelle, die in diesem Prozess hervortreten und dabei organisierend wirken, nennt er organische Intellektuelle.

Dabei legt er den Fokus auf den organisierenden Aspekt. Erst ein Intellektueller, der organisierend wirkt und auch konkret das Wissen vermittelt, ist ein organischer Intellektueller. Bildlich gesprochen sind diese Personen Generäle und Stabschefs auf dem Schlachtfeld. Das pure Ansammeln von Wissen ist laut Gramsci noch kein Indiz, ein organischer Intellektueller zu sein. Der Kampf um die Hegemonie und die Vormachtstellung, aber eben auch der Umgang und die Erschaffung neues Wissens sind die Aufgabe eines organischen Intellektuellen. Man kann hier vielleicht die Frankfurter Schule um Adorno und Horckheimer anführen, die mit ihrem Institut für Sozialforschung einen wichtigen Beitrag zur geistigen Entwicklung der Bundesrepublik leisteten. Man kann die aktuellen Geschehnisse im Jahre 2020 nicht ohne die 68er-Generation denken. Genauso ist die 68er-Generation nicht ohne die Frankfurter Schule zu verstehen. Nicht ohne Grund spricht man in Bezug des Frankfurter IfS von einer “intellektuellen Gründung der Bundesrepublik”.

Rechter Intellekt

Für uns Konservativen und Rechten ermöglichen diese verschiedenen Begriffe eines Intellektuellen mehrere Schlussfolgerungen:

  1. Die aktuellen Intellektuellen der Bundesrepublik (generell des ganzen liberalen Westens) sind nur noch eine Karikatur ihrer selbst. Im alltäglichen Leben umgeben sie sich mit dem Gestus eines kritischen Geistes, der angeblich die vielen Fehler und Unterdrückungen im System erkennen würde. Dabei sind Habermas und Konsorten letztendlich selbst zu Hohepriestern und Sittenwächtern des Bestehenden verkommen, ohne diesen Zustand zuzugeben zu wollen. Sie sind nicht mehr Oppositionelle oder dissidente Geister, die sie vorgeben zu sein, sondern: Sie sind die neuen Mandarine, sie sind längst im Mainstream angekommen und dort verankert; sie genießen den Schutz des Staates, die finanziellen Leistungen der Gesellschaft und die Liebe der Medien.
  2. Es kommt zu einem zweifachen Verrat der “Intellektuellen”. Der erste äußert sich in der Inkonsistenz und fehlenden Logik postmoderner Philosophien und Diskurse – nicht nur der Schein der aktuellen “Intellektuellen” verfällt, sondern auch der Kern wird faulig und verrottet. Es bedarf schon einer ordentlichen intellektuellen Idiotie, zum Beispiel die islamische Theologie im Einklang zu den Menschenrechten zu erklären, auf die doch viele Intellektuelle ihr gedankliches Gerüst aufbauen (KH Weißmann spricht explizit von einem intellektuellen Verrat). Rassismus existiert überall, obwohl es doch keine Rassen gibt. Der Kapitalismus ist der Feind, dabei kuschelt man mit Woke Capital. Geschlecht und Sexualität wird zu einer reinen subjektiven Angelegenheit usw. usf. Sprich: Die “Intellektuellen” von heute können kaum noch kohärent ihre eigenen Werte und Ansprüche vertreten. Überall verlässt man den Pfad der Rationalität und Empirie, wofür man sich doch aber immer so einzusetzen behauptet. Während man zum Beispiel biologische Fakten ignoriert und sogar leugnet, will man empirisch nichtüberprüfbare Ergebnisse und Methodik der Gender Studies als neue Wissenschaft darstellen. Der Intellektuelle des 21. Jahrhundert verkommt zu einem Esoteriker, der in spiritualistischen Höhen umherirrt und immer auf der Suche nach der neusten Diskriminierung oder dem nahenden Faschismus ist. Der andere Verrat wird sich im immer mehr auftretenden “Klassenverrat” äußern. Diesmal wird aber nicht die Bourgeoisie hintergangen, sondern das aktuell regierende System. Nicht jeder Intellektueller will sich dieser Entwicklung anbieten und seine intellektuelle Autonomie aufgeben. Monika Maron, Uwe Tellkamp und Thilo Sarrazin sind hier als Beispiele anzuführen. Es wird bei diesen Namen nicht aufhören.
  3. Die Konsequenz für das konservativ-rechte Lager: Wir müssen einerseits immer die Heuchelei und Doppelmoral der aktuellen Mandarine aufzeigen. Je mehr sie sich verbiegen müssen, um ihre Narrative aufrecht zu erhalten, desto einfacher wird es, dass wirklich kritische Menschen dies durchblicken. Der Widerspruch ist an dieser Stelle wichtig, auch wenn er mühselig, manchmal auch gefährlich sein kann und wir die Früchte des täglichen Widerspruchs wahrscheinlich nicht selbst ernten werden. Es ist eine Sisyphos-Arbeit2.
  4. Andererseits müssen den aktuell leeren Thron des Intellektuellen selbst besetzen. Es darf nicht nur beim Widerspruch bleiben, sondern dieser kann nur der erste Schritt sein. Ein Anti-Intellektualismus ist also fehl am Platze, egal ob man dem Konzept nach Gramsci oder Sartre folgt. Aber es muss nicht nur auf der politischen Ebene passieren. Uns stehen viele Ebenen offen, wo die Mandarinen ihrem eigenen Anspruch nicht mehr gerecht werden. Die Wissenschaft, die keine mehr ist. Die Kunst, die keine mehr ist. Die Musik, die keine mehr ist. Es sollte nicht nur darüber geklagt werden, sondern selbst etwas geschaffen werden. Dabei ist es aber wichtig, dass alles miteinander vernetzt und in ein Mosaik eingebettet bleibt. Es braucht künstlerische, politische und soziale Bewegungen nebeneinander – jeder wird auf seine Weise intellektuell aktiv sein können. Ohne eine neue Intelligenzija und Avantgarde wird man einen politischen Wechsel nicht erreichen können. Dabei ist es wichtig, nicht den eigenen Weg als den einzig richtigen darzustellen. Viele Wege führen nach Rom.
  5. Sollen wir also Intellektuelle sein? Auf jeden Fall. Das Institut in Schnellroda ist hier sicherlich das beste Beispiel, wie eine intellektuelle Bewegung auf der politischen Ebene von konservativ-rechter Seite funktionieren kann. Bloß: Schaffen wir mehrere Schnellroda? In der Musik, in der Kultur, als soziale Bewegung? Ein Intellektueller von Rechts kann nicht nur individuell-subjektiv aktiv sein, indem der die aktuellen Geschehnisse kritisch betrachtet und begleitet, wie es Sartre beschrieb, er muss auch eine funktionelle Komponente übernehmen. Gerade jetzt, wo doch der liberale Westen vermodert, ist die Zeit für rechte und konservative Intellektueller aller Coleur gekommen.

Anmerkungen

1: “In Zeiten endlich wo der Klassenkampf sich der Entscheidung nähert, nimmt der Auflösungsprozeß innerhalb der herrschenden Klasse, innerhalb der ganzen alten Gesellschaft, einen so heftigen, so grellen Charakter an, daß ein kleiner Theil der herrschende Klasse sich von ihr lossagt und sich der revolutionären Klasse anschließt, der Klasse, welche die Zukunft in ihren Händen trägt. Wie daher früher ein Theil des Adels zur Bourgeoisie überging, so geht jetzt ein Theil der Bourgeoisie zum Proletariat über, und namentlich ein Theil der Bourgeois-Ideologen, welche zum theoretischen Verständniß der ganzen geschichtlichen Bewegung sich hinaufgearbeitet haben.” (Manifest der Kommunistischen Partei)

2: Ein Verweis auf Albert Camus und seinem Sisyphos-Mythos ist hier nicht verkehrt. In der alltäglichen Absurdität, ihrer Erkenntnis und Annahme ergibt sich erst unsere Existenz als Mensch.