• Beitrags-Autor:
  • Lesedauer:5 min Lesezeit

Seit der Aufklärung befinden sich Konservative in einem konstanten Rückzugsgefecht. Vom Volk und der Vernunft auf den Prüfstand gestellt, hatten die Verfechter tradierter Ordnungssysteme selten genug argumentatives Rüstzeug für den dauerhaften Erhalt von Strukturen und Deutungsansätzen. Die Einheit der Kirche unter dem päpstlichen Banner. Die Autonomie deutscher Fürstentümer. Die Deutungshoheit über das Weltgeschehen durch eine geistige Elite. Der Adel als politische Führungsschicht. Die traditionelle Rollenverteilung von Mann und Frau. Die Hochachtung vor dem Alter und der Lebenserfahrung. Das Abstammungsprinzip als die Staatsangehörigkeit konstituierender Faktor. Die Heiligkeit der Ehe. Die Dualität der Geschlechter selbst. Der Stellenwert von Mythen und Märchen als geistige Schätze eines Volkes und Ausdruck ihrer Volksseele. Die Existenz der Völker und in der Zeit des drohenden Transhumanismus die Deutungshoheit über den Menschen selbst – stetig fallen die Pfeiler alter Ordnungen. Konservative und rechte Politik befinden sich dabei stets am Gängelband des zersetzenden Zeitgeistes. Eine scheinbare Stagnation des Verfalls birgt die Illusion konservativer Erfolge (etwa bei früheren Wahlerfolgen der CDU), während die Niederlage der nächsten weltanschaulichen Bastion gedanklich bereits in der Vorbereitung ist.

Die geistigen Restbestände einer über Jahrtausende gewachsenen Gemeinschaft werden beim Fortgang dieser Entwicklung eines Tages aufgebraucht sein. Das muss nicht per se einen Verlust bedeuten – Gesellschaftsstrukturen können überholt sein, den Bedingungen einer sich wandelnden Welt nicht mehr angemessen. Sie zu konservieren darf kein Selbstzweck sein. Ihre Abschaffung aus ideologischen Gründen – ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen – ist jedoch für verantwortungsbewusste Menschen nicht hinnehmbar. Dem Konservativen fällt die Aufgabe zu, das zu tun, was ihm seine Bezeichnung abverlangt: Er „konserviert“, bewahrt, tritt für den Erhalt dessen ein, was er für essentiell hält. Wie bereits ausgeführt, kann dies mit politischen Mitteln und durch die Schaffung eines metapolitischen Vorfeldes verwirklicht werden. Das reicht jedoch nicht aus – unser konstantes politisches Versagen speist sich aus dem Fehlen konkreter Zielsetzungen, die auf festen Grundannahmen fußen.

Der Bedarf an einem weltanschaulichen Fundament ist nicht mit der Forderung nach Konformität und unhinterfragtem Konsens zu verwechseln. Der Austausch, der Wettstreit der Argumente und die Achtung der Gegenposition sind Prinzipien, die einst die europäischen Geistes- und Naturwissenschaften zum Erfolg geführt haben. Der rechte Diskurs sollte hier keine Ausnahme bilden. Nicht nur aus akademischem Anstand – die Vorstellung, eine organisch gewachsene Lebensweise ließe sich mit Zwang gegen ihre Träger zu dauerhafter Blüte führen, ist ein Widerspruch in sich. Der Nationalsozialismus war ein Versuch, eine Weltanschauung von Rechts (inklusive linker Versatzstücke) in den Köpfen zu verankern, die nicht an die historische Bedingungen geknüpft war, sondern Allgemeingültigkeit für sich beanspruchte. Die historische Notsituation der Deutschen erklärt die Wahlerfolge der NSDAP. Der ausgeübte Zwang ermöglichte zwar den zeitweiligen Erhalt des Systems, aber auch die totale Abwendung davon nach dem 8. Mai 1945. Eine Neuaufnahme dieses Ansatzes ist weder wünschenswert, noch Erfolg versprechend.

Das geistige Fundament des konservativen Aktivisten und einer Protestbewegung würde als Kompass für das politische Agieren im Parlament, im Diskurs, im Umgang mit dem politischen Gegner dienen, der nicht, wie heute oft zu beobachten, an das Tagesgeschehen gebunden ist. Echte Fundamentalopposition wäre im Wortsinne möglich, wie auch zielgerichtete politische Arbeit, die sich nicht permanent in Widersprüche und Peinlichkeiten verstrickt. Politische Maßnahmen bestünden nicht nur aus politischem Taktieren und der Reaktion auf das Tagesgeschehen (meist die Erfolge des politischen Gegners), sondern in der Verwirklichung einer Vision.

Es ist Zeit für die Straße, den Aktivismus, Zeit für die patriotischen Künstler, die Erkämpfung freier Räume. Aber es ist auch Zeit für jedermann, sich grundsätzlichen Fragen zu stellen: Wer sind wir – und wer sind wir nicht? Wie wollen wir leben und warum? Es Zeit für die Philosophie.