Paul Nizon: „In der Freiheit kann man auch ersaufen.“

Das Eintreten für Schutzimpfungen, ja für die Impfpflicht kann gerade gegenwärtig als eine veritable rechte Position gelten – dezisionistisch, riskant, verantwortungsvoll einem unmittelbaren Vernunftgebot der Fürsorge für die Gesundheit und den Schutz der Gesellschaft wie ihrer Kultur folgend.

Die AfD ist allerdings weniger eine rechte Partei, als es ihr die versammelte Gegnerschaft beilegen möchte. Sie ist populistisch, und zwar im besten Sinne des Begriffes, artikuliert sie doch den nachvollziehbaren Unmut einer großen kritischen Minderheit gegenüber der linksgrünen Hegemonie mit ihrem anmaßenden Moralismus; sie versammelt allerlei Liberale und Libertäre, und mit Blick auf die von ihr gepflegte Tugendethik mag sie in Teilen tatsächlich ja konservativ sein.

Wobei nicht alle selbsterklärt Liberalen in der Partei jene Selbstverantwortung für sich wahrzunehmen verstehen, die Grundlage eines liberalen Selbstverständnisses wäre, und nicht alle Konservativen den ethischen Kriterien entsprechen, mit denen sie andere schnell und rigoros zu bewerten oder abzuwerten bereit sind.

Seit den Protesten gegen den NATO-Doppelbeschluss, das Aufstellen der nuklear bestückten Mittelstreckenraketen in den frühen Achtzigern, gab es keine so polarisierte politische Gegnerschaft in Deutschland wie die sich jetzt an der Impfproblematik entzündende.

Aber damals wie heute sollte man den Protest im Für und Wider gegenüber einer staatlichen Leitlinie als ein – nicht ungefährliches – Rollenspiel verstehen, hinter dem mehr steckt als die Auffassung, für oder gegen Aufrüstung oder für oder gegen das Impfen zu sein.

Die Gegner, ja Feinde trennt bzw. vereint weit mehr als das, was ihre Slogans erkennen lassen. Im gegenwärtigen Fall bricht sich in der Impfgegnerschaft eine Frustration Bahn, die viel älter ist als das Virus und die sich gegen einen zunehmend vormundschaftlichen Staat richtet, der wiederum nicht erst mit der Pandemie vormundschaftlich zu agieren begann, sondern dies bereits seit dem letzten Jahrzehnt immer penetranter betreibt, angetrieben eben von einem linksgrün „woken“ Establishment, das den Staat nach eigenen Intentionen als Revisionsbehörde nutzt: Revision des Geschichts- und damit des nationalen und kulturellen Selbstverständnisses, Revision der Sprache, Revision der Geschlechterrolle, Revision der unsere Gesellschaft bislang noch tragenden Institutionen – vermeintlich im Sinne von Gerechtigkeitsvorstellungen, die ihrerseits utopistisch und gerade deswegen gefährlich anmuten. Und dies alles von oben herab und nicht von unten auf.

Was jetzt auf die Straße und in die polemische Auseinandersetzung getragen wird, folgt Spannungen, die lange geschürt wurden, und zwar durch eine anmaßende Haltung des linken Establishments und des von ihm mittlerweile dominierten Staates. Das Wort von „deep state“ passt zur linksgrünen Durchdringung aller Bereiche und Maßgaben. Genau daher rührt die Wut, die nun in der Impfgegnerschaft Kontur gewinnt.

Das genau, diese völlig nachvollziehbare Antipathie im Volk gegen den hypermoralisch agierenden Maßnahme-Staat, macht es so schwierig, das Impfproblem isoliert zu betrachten. Daher zurück zur AfD und ihrer Rolle:

Letzten Winter forderte die Partei überall höchst dringlich, die Regierung solle ausreichend Impfstoff bereitstellen. Wenn das nicht funktioniere, so müsse man sich eben um das russische Sputnik-Vakzin bemühen. Ebenso vehement hatte sie im frühen Frühjahr 2020 mit Beginn der Pandemie verschärfte Maßnahmen gegen die Gefahr einer Infektionswelle gefordert und dem Staat Handlungsunfähigkeit vorgeworfen.

Zu Beginn dieses Jahres protestierte sie gegen das schleppende Anlaufen von Impfungen in den Impfzentren. Wiederum warf sie dem Staat Dysfunktionalität und einen Mangel an Verantwortungsbewusstsein vor.

Insofern nach allem, was wir wissen, allein Impfungen die Pandemie einzudämmen und Menschen wie gesellschaftliche Strukturen zu schützen in der Lage sind, müssen sie so breitenwirksam wie möglich genutzt werden.

Die „Souveränität der Selbstsorge“, wie sie Boris Groys in „Lettre International“ gegenüber einer vermeintlichen Biopolitik fordert, führte unweigerlich in die Katastrophe, weil damit tatsächlich die Kliniken überlastet wären und jeder zusehen müsste, wie er sich rettet. Vermutlich stiege die Zahl der Opfer immens. Übersterblichkeit wäre ein Euphemismus. Die AfD lag mit ihren damaligen Forderungen nach funktionierender Impfstruktur also richtig.

Nun aber schreibt sie für sich liberale Muster, gewissermaßen also Groys‘ Selbstsorge, fest, betont ihr Selbstverständnis als „Rechtsstaatspartei“ und sieht sich als letztverbliebenes Bollwerk zum Schutz der Bürgerrechte. Jetzt, da der Staat einigermaßen entschlossen handelt, fordert sie Unterlassung. Jetzt, da die anderen für die Impfungen sorgen, hegt sie Vorbehalte.

Ich unterstelle: Hätte sie die Macht, würde die AfD durchimpfen lassen. Und würde damit richtig handeln. Mit Carl Schmitt: Souverän ist, wer über die Impfpflicht entscheidet. Die eher linksgerichteten Bundes- und Länderregierungen handeln nun, demokratisch und föderal verzettelt, in diese Richtung; die Liberalen assistieren ihnen, während die AfD sich vor diesem Hintergrund den Anschein gibt, die Partei der besseren Demokraten und Liberalen zu sein. Ist sie’s? Sollte sie das überhaupt sein wollen, wo es doch schon so viele „aufrechte Demokraten“ und Bewahrer des Freiheitlichen gibt?

Jedenfalls gilt in der AfD offenbar als grundvereinbart, zwar nicht generell gegen das Impfen, dem gegenüber aber höchst skeptisch und sowieso gegen eine Impfpflicht zu sein. Schon weil viele andere und als Gegner aufzufassende Parteien dafür sind – wie gesagt, sogar die Liberalen.

Einen innerparteilichen Diskurs dazu gibt es nicht. Die zahlreichen Impfbefürworter in der Partei schweigen. Wenigstens bot die „Junge Freiheit“ Karlheinz Weißmann jüngst ein Podium, im nachdenklichen Disput mit dem gleichfalls so gründlich wie moderat argumentierenden Thorsten Hinz. Ein Beispiel echter Debattenkultur, mit dem Ziel einer Verständigung im Lager rechts der sogenannten Mitte. Vorbildlich praktiziert!

Darüber hinaus aber entwickelt sich derzeit keine innerparteiliche Streitkultur. Mag auch sein, sie sorgte für zu viel Turbulenzen, gerade jetzt, wo man angesichts früherer Erfahrungen mit tiefgreifendem Zwist auf Geschlossenheit setzt.

Tatsächlich greifen sowohl die Pandemie als auch die Impfkampagne nach dem Eigensten, dem Körper und seiner Gesundheit, ja sie reduzieren Personen auf Körperlichkeit. Unser Körper jedoch ist Physis unserer unmittelbaren Autonomie; wir wollen ihn nicht der staatlichen Gewalt ausliefern. Dass er ihr entzogen ist, kann als wichtigstes Ergebnis der neuzeitlichen Emanzipationsbewegungen gelten. Niemand will hinter die dadurch gesicherten Persönlichkeitsrechte zurück. Die Verordnung einer staatlichen Impfpflicht wäre also tatsächlich ein beispielloser Akt, eine Bevormundung und Übergriffigkeit.

Miguel de la Riva sieht angesichts der offensichtlichen Gefahr den Vorwurf, es würde diktatorisch Biopolitik praktiziert, eben nicht als gerechtfertigt an, sondern erkennt in dieser Behauptung eine bloße Scheinopposition:

„Statt des Rückzugs in die nur vermeintliche Privatheit der eigenen Haut, deren Unversehrtheit längst in Gefahr ist, ehe eine Spritze sie durchsticht, bedarf es angesichts der Pandemie mehr denn je der Solidarität geteilter Leiblichkeit. Wer die fortschrittliche Tradition körperlicher Unversehrtheit und Selbstbestimmung fortschreiben will, muss sie als kollektive Güter verstehen. Wie jedes Privateigentum hat auch das Eigentum am eigenen Körper soziale Voraussetzungen, die unter den gegebenen Bedingungen Verpflichtungen im Umgang mit ihm begründen, die die individuelle Willkür beschränken. (…) Immunität gegen das Virus besitzt niemand allein, sie ist ein kollektives Gut. In einer Situation, die es nicht mehr erlaubt, Körper als voneinander unabhängige Einheiten zu betrachten, wird das Recht auf die Unversehrtheit des eigenen, individuellen Körpers durch kollektive Pflichten wahrgenommen. Niemand kann die Integrität seines Körpers allein bewahren: Solange auch nur einer krank ist, ist niemand gesund.“

Diese Argumentation, dieses differenzierte Urteil greift tiefer und erscheint qualifizierter als das mit Aplomb auftrumpfende Beharren auf Grundrechten nach dem allzu simplen Motto „Mein Körper, meine Entscheidung!“ und das wohlfeile Bekenntnis zu einem so demagogischen Begriff wie dem der Freiheit, dieser „Chiffre für Narzissmus“ (Reinhard Müller).

Kantische Pflichtethik schlägt Tugendethik. Was vernünftigerweise kraft klaren Verstandes und genauer Beschäftigung mit den naturwissenschaftlichen, also biologischen Grundlagen einzusehen ist, das bedingt die Wahrnehmungen unmittelbarer Pflichten gegen andere wie gegen sich selbst. Dabei auftretende Risiken eingeschlossen, zumal sie abwägbar sind.

Die lauten Chat-Enthusiasten und Dauer-Poster jedoch teilen über Links einfach die Autoritätsbeweise der von ihnen bevorzugten Medien und applaudieren diesen Zitaten, bieten dabei aber selbst kaum belastbare Beiträge auf. Echokammern.

Solange eine Partei oder Bewegung den Meinungsstreit frei führt, der in der moralneurotischen Gesellschaft verwehrt bleibt, bietet sie einen interessanten Ort von Anziehungskraft: Streitkultur mit Niveau, wissensbasiert, also aus möglichst genauer Kenntnis heraus, im konkreten Problemfall also durchaus zell- und mikrobiologisch basiert, anstatt nachzureden, was einem in den Kram passt.

Mag sogar sein, das Vernünftige und Richtige wäre besser vermittelbar, hätte die Schulpolitik nicht insbesondere den naturwissenschaftlichen Unterricht zurückgebaut. Wer Biologie rechtzeitig abgewählt hat und wissenschaftliche Publizistik ignoriert, sollte eher schweigen und gründlicher lesen, als sich von sonstwo im Netz das zusammenzukehren, was irgendwie zu seinem bloßen Meinen und unsicheren Empfinden passt und angeblich sogar der Freiheit dient.

Ich selbst bin als randständiger Publizist scharf gegen eine die gesamte Gesellschaft abschaltende und in kollektive Schuldenhaftung nehmende Lockdown-Politik eingetreten, gerade deswegen aber stets für das Durchimpfen, weil es nach allem, was wir derzeit wissen, keine andere Möglichkeit zur weitgehenden Gesunderhaltung und Lockdown-Vermeidung gibt.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Oluf Querdenker

    Schönes Zitat aus dem Film „Napola“ (3. Reich), das zu dem vom Autor angeschmachteten „Miguel de Riva“ gut passt:

    „Unsere Körper gehören nicht mehr uns alleine“

    Zu der restlichen Argumentation muss man wenig sagen. Dass die Impfung Immunität verliehe und „uns“ – wer ist das ? – aus der Pandemie bringe, ist mittlerweile hinreichend belegt. Der Autor argumentiert hier im Duktus eines Lehrer Lempel, der ein Volksschulbüchlein aufschlägt, und meint, er wüsste Bescheid. Dass er mittlerweile gegen erstklassige Veröffentlichungen – siehe das Editorial von Günther Kampf in Lancet sowie die jüngste Studie hinsichtlich dramatisch erhöhter kardiovaskulärer Risiken nach mRNA-Impfung in Circulation – weiß er wahrscheinlich nicht einmal. Der bisher extreme und so nie dagewesene Zusammenbruch von Profisportlern aufgrund kardiovaskulärer Ereignisse – geschenkt. Hier zählt Solidarität und das schöne Gefühl des deutschen Nazi, gemeinschaftlich anzustehen, Ärmel hochzukrempeln und die „verdammte Pflicht“ zu erfüllen.

    Ja, man kann in der Freiheit ersaufen – und „wir“ wären besser dran, wenn diejenigen, die nicht mit ihr umgehen können, das längst getan hätten

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