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Wer die Segnungen des Antaios-Verlags zu würdigen weiß, kommt nicht an Manfred Kleine-Hartlage vorbei. Vielen dürften seine brillanten Kaplaken „Warum ich kein Linker mehr bin“ oder „Konservativenbeschimpfung“ wohl bekannt sein. In „Die liberale Gesellschaft und ihr Ende – Über den Selbstmord eines Systems“ erweist sich der ex-SPDler als großartiger Kenner der europäischen Geistesgeschichte dem es gelingt, komplexe Bestandteile unseres geistigen Erbes darzulegen und ihre Entwicklungslinien bis in die Gegenwart nachzuvollziehen.

Die „liberale Gesellschaft“ gliedert sich in drei Teile. Zuerst wird die Dekonstruktion alter europäischer Traditionen durch die Aufklärung erläutert. Durch die Erziehung zum mündigen, kritischen Denken werden Tradition und Religion auf den permanenten Prüfstand gestellt, was deren allmähliche Erosion begünstige. Im zweiten Teil zeigt Kleine-Hartlage auf, wie sich die Wege europäischen Denkens in Liberalismus und Marxismus teilen. Beiden sei das Streben nach Freiheit zu Eigen. Allerdings vollziehe sich dieser Drang im Liberalismus auf der individuellen Ebene, während der Marxismus die Befreiung auf kollektiver Ebene anstrebe. Auch sei ihr utopisches Ziel einer von sämtlichen Zwängen und Bindungen befreiten Gesellschaft das Gleiche. Beide geistige Antagonisten seien die Triebkräfte, die die heutige Geisteshaltung in weiten Teilen der Welt herbeigeführt habe. Der dritte und letzte Teil führt den Leser zurück in die Gegenwart. Hier analysiert der Autor trefflich die zahlreichen Irrungen und Wirrungen, in die der heutige Zeitgeist verstrickt ist. Dabei reißt die Argumentationskette von der Kritik an der Aufklärung bis zu tagesaktuellen Problemen nicht ab, sodass auch der philosophisch vorgebildete Leser mit einem großen Mehrwert an Denkanstößen die Lektüre abschließt. Der klare, oft auch unterschwellig humorvolle, teils drastische, stets schnörkellose Schreibstil Kleine-Hartlages macht die Lektüre auch sprachlich zum Genuss.

In seinen Analysen geht der Autor mit der gebotenen Behutsamkeit vor, sodass er auch der bekennende Liberale, der Konservative, oder der patriotische Sozialist trotz gelegentlichen Stirnrunzelns mit der „liberalen Gesellschaft“ eine sinnvolle Ergänzung seiner Analysen und seiner politischen Ziele in den Händen hält. So wird etwa nicht der Liberalismus nebst seinen unabstreitbaren Segnungen verdammt, wie der Titel suggerieren mag. Vielmehr sieht es der Autor als seine Aufgabe an, das in der Vergangenheit Erreichte zu bewahren, um es nicht an einen neuen Totalitarismus unter dem Deckmantel der Freiheit zu verlieren.