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Wer sich heute auf der rechten Seite des Meinungsspektrums befindet, hat seit Jahrzehnten politisch das Nachsehen. Ohne nennenswerte politische Macht scheint es unser Schicksal zu sein, den politischen Entwicklungen ohnmächtig zuzuschauen, diese zu erklären, im eigenen, eng begrenzten Umfeld zu kommentieren, und frustriert auf den nächsten Rückschlag zu warten. Die Wartezeit zwischen den Rückschlägen reduziert sich derzeit rapide, oft ist es kaum noch möglich, alle ob ihrer Vielzahl zu erfassen.

Das patriotische Klientel, das Träger dieses Schicksals ist, verfügt meist über eine überschaubare politische Bildung, die selten den Horizont tagesaktueller Themen übersteigt. Der weltanschauliche Standpunkt, von dem aus der Widerstand artikuliert wird, ist in der Regel ein Amalgam aus der strikten Gegenposition zu der eines Feindbildes (der Grüne, der im Tesla zur Vorstandssitzung fährt, der raffgierige Kapitalist, der über Leichen geht, die sexuell nicht ausgelastete Frauenrechtler*in…), beliebigen Phrasen („Merkel muss weg“, „Wir sind das Volk“, „Mut zur Wahrheit“…), halb bewussten Versatzstücken sozialistischer Ideologie und einem unreflektierten Bauchgefühl, es laufe etwas schief und unsere Zukunft sei gefährdet.

Diese Unreflektiertheit führt häufig zu skurrilen Widersprüchen, die selten als solche erkannt werden. Erklärte Feinde des Sozialismus fordern mehr Umverteilung. Konservative belächeln das Bekenntnis zum Christentum. Antiliberale protestieren für mehr bürgerliche Freiheiten. Kaisertreue fordern direkte Demokratie. Kritiker der exorbitanten Staatsverschuldung fordern mehr Subventionen. Die, die den Niedergang unserer Kultur bitter beklagen, kennen weder den Unterschied zwischen Protestantismus und Katholizismus noch den zwischen Alexander und Wilhelm von Humboldt, ziehen Burger King dem Fischbrötchen vor und legen keinen Wert aufs Weihnachtsfest. Der Stolz auf die glorreichen Momente deutscher Geschichte wird vehement gefordert und findet in der Begeisterung für Wehrmachtsorden und MG-Kaliber seinen Ausdruck, während die Befreiungskriege und der Vormärz dem Vergessen anheim fallen. Was aus dieser intellektuellen Wüste an handfester Politik das Licht der Welt erblickt (etwa in Form von Anträgen im Parlament, Bürgerinitiativen etc.), beschränkt sich so häufig auf blinde Fundamentalopposition – die Bekämpfung des politischen Gegners um ihrer selbst willen. Diese hat als Ausdruck des Anspruchs, das System tiefgreifend reformieren zu wollen, definitiv ihre Berechtigung, sollte aber nie dazu dienen, den Mangel an eigenen Konzepten zu kaschieren.

Sein Bauchgefühl zum Indikator für ein gutes Leben zu machen ist rechts. Mit dem Zeitalter des Humanismus und der Aufklärung begann die Inthronisierung der Ratio, der kühlen Logik, der Religion der grenzenlosen Machbarkeit, der prinzipiellen Ergründbarkeit von Welt und Mensch in all ihren Facetten. Traditionelle Lebensformen jeglicher Couleur befinden sich seitdem weltweit auf dem Rückzug und weichen einer amorphen Masse. Spiritualität, Familie, Verwurzelung in der tradierten Lebensweise und die Heimatliebe haben für den Rechten einen Wert in sich. Der Kampf für ihren Erhalt will nicht rational begründet sein. Über Gebühr vom kalten Verstand selektiert, sind sie nicht länger Lebensmittelpunkt und Quelle von Kraft und Inspiration. Sie verlieren ihre Gemeinschaften bildende Strahlkraft, ihre Magie. Zwar ließen sich rational quantifizierbare Vorteile (etwa ökonomischer oder gesundheitlicher Art) finden, jedoch haben diese keinerlei Auswirkung auf die Lebensführung und die politische Entscheidung.

Bei aller Hochachtung der irrationalen Seiten des Menschen – im „Informationszeitalter“ der permanenten Reizüberflutung ist es eine abwegige Vorstellung, die derart weit verbreitete und tief gehende geistige Verwirrung hätte keinen Einfluss auf unsere gesunde Intuition. Die Stunden am Bildschirm, die Flut an Telegramgruppen und wütend verschickten Links zu aufrüttelnden Neuigkeiten sind wohl kaum Indikatoren für geistige und seelische Erdung als Ausgangspunkt für solides politisches Agieren. Das diffuse Gefühl, Gutes für die Zukunft zu wollen und die Feinde des Lebens aufhalten zu müssen, ist zwar löblich, unterscheidet sich aber wohl nicht grundsätzlich von dem des besorgten SPD-Wählers auf der anderen Seite der Polizeiabsperrung. Daher bedarf es für einen soliden politischen Kompass weit mehr.

Das Liebäugeln mit dem „echten Sozialismus“ ist gerade bei den älteren Widerstandssemestern in Ostdeutschland menschlich nachvollziehbar. Im DDR-Regime sozialisiert und politisch vorgebildet, stellte es nahezu eine intellektuelle Großtat dar, das einmal erworbene Grundverständnis vom menschlichen Zusammenleben in Gänze durch ein neues zu ersetzen und sich nicht von den erlebten Vorteilen des alten Systems (niedrige Mieten und Lebensmittelpreise, Kindergartenplätze für alle…) zur weit verbreiteten „Es hätte nur richtig umgesetzt werden müssen“-Haltung verleiten zu lassen. Man muss diesen Menschen zugute halten, dass sie wenigstens überhaupt über ein tiefer gehendes politisches Grundverständnis verfügen. Dass aber auch in den alten Bundesländern rote Ideologien einen kaum fassbar guten Leumund haben (man beachte das dortige Wiederaufleben der FDJ) zeigt, dass die Verfechter der Ideologie der Gulags, der Enteignungen und der Staatssicherheit ihre Hausaufgaben gemacht haben. Die Rede ist vom zurecht viel zitierten Schlagwort der Metapolitik.