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Ich habe von 1995 bis 2000 in Greifswald studiert. Während meiner Studienzeit konnte ich mich als Burschenschafter ohne Probleme und auch allein in Greifswald bewegen. Selbstverständlich gab es auch Anfang bzw. Mitte der 1990 Jahre linke Häuser in Greifswald. Den Anfang machte ein im Februar 1991 besetztes Haus in der Pfarrer-Wachsmann-Straße, dem ein wahrer Besetzungsboom der Wendezeit folgte. Die Ursachen waren hier vor allem das bestehende Rechtsvakuum in Bezug auf den Umgang mit dem Volkseigentum der DDR und eine völlig unterbesetzte, schlecht ausgerüstete und unsicher im Umgang mit zuvor unbekannten Problemen wirkende Polizei. Die städtischen Behörden waren unsicher im Umgang mit den leer stehenden Häusern und die Eigentumsverhältnisse vieler Immobilien ungelöst. Die Besetzung des Wachsmann-Hauses endete Ende 1991, indem es von den Bewohner angesteckt wurde. Die Häuser wurden dann 1994 abgerissen. Im Sommer 1991 folgte die Besetzung eines Hauses am Karl-Marx-Platz 19, welches dann nach Duldung durch die Behörden zum Alternativen Jugendzentrum wurde. Die Nutzung endete erst 2000 mit der Räumung, nachdem eine Einigung zwischen Besitzer und Besetzern endgültig gescheitert war. Dazu kamen noch weitere kurzlebige Besetzungen wie zum Beispiel in der Falladastraße. Als langlebiger erwies sich die Besetzung eines Hauses in der Wollweberstraße, welches ab dem September 1991 als Pariser firmierte und bis 2015 Bestand hatte. Weiterhin zog im Januar 1992 der eben gegründete Stadtjugendring Greifswald e.V. in das ehemalige Kinderheim in der Langen Straße 14/14 a, welches anschließend unter dem Namen Klex bis heute existent ist. Das im groben zur Situation in den 1990 Jahren.

Diese waren in ihrer Anfangszeit von harten Auseinandersetzungen zwischen der linken und rechten Szene in Greifswald mit teils Straßenschlacht-ähnlichen Ausmaßen und Barrikaden geprägt. Einige von uns werden sich sicherlich sehr gut an die Zeit erinnern können. Ende der 1990 ebbte das Ganze ab, vor allem auch durch die zunehmende Schwäche der Skinhead-Szene in Greifswald. Daneben existierte unsere Burschenschaft eher unbehelligt.

Abgesehen von AJZ kam es schon vor, daß man das Klex zu einem Konzert besuchte oder im Pariser war. Greifswald war insgesamt eine CDU-regierte Stadt. Politische Auseinandersetzungen hielten sich in Grenzen. Heute ist das allerdings anders. Dass seit dem 1. November 2015 ein grüner Bürgermeister als Kandidat der Linken in Greifswald als Oberbürgermeister vorsteht, ist neben der immer weiteren Verschiebung des allgemeinen Meinungsklimas nach links, insbesondere der fortschreitenden Vernetzung der linken Szene vor allem auch an der Universität in Greifswald zu verdanken. Damit verbunden ging die Entwicklung weg von der Hausbesetzung hin zu einer Legalisierung der Situation über eine Überführung der Objekte an Vereine oder der Weg über einen Verein, welcher ein Haus erwarb und dieses dann führte. Die Ansiedelung weiter Vereine in dem Haus bietet dann Finanzierungsmöglichkeiten, insbesondere auch für Stellen, so daß Personen und natürlich auch die Häuser längerfristig finanziert werden können. Die angestellten Personen verbleiben in Greifswald und verlassen es nicht, was natürlich die Szene verfestigt und für einen weiteren Ausbau zur Verfügung steht. Nur so ließen sich die Häuser auf Dauer halten. Schon ein grober Überblick läßt das ganze Ausmaß an Häusern, Vereinen und Personen erahnen, die sich in Greifswald ausgebreitet haben. Ich möchte das im Folgenden kurz und keineswegs mit der Feststellung auf Vollständigkeit ausbreiten.

Den Anfang machte das schon erwähnte Klex unter der Trägerschaft des Stadtjugendrings. Die Jugendsozialarbeit im Jugendzentrum Klex wird gefördert durch den Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union, den Landkreis Vorpommern-Greifswald und die Universitäts- und Hansestadt Greifswald. Darunter werden eine ganze Reihe an Vereinen aufgelistet, die hier angesiedelt sind, angefangen von einem Fahrradselbsthilfeverein über Medien- bis hin zu Musikangeboten, aber auch dem Verein „Queer in Greifswald“. Das Schema, welches im Klex deutlich wird, läßt sich auf sämtliche andere Häuser in der Art übertragen. So existiert seit 2001 mondän im ehemaligen Haus des Akademischen Turnvereins in der Goethestraße 1 das sogenannte IKUWO, „Internationales Kultur- und Wohnprojekt“. Das Haus umfaßt ein Vereinscafé, einen großen Veranstaltungssaal, einen Bandproberaum, ein Büroraum und 8 WG-Zimmer plus Gästeraum. 2011 wurde das Haus vom Verein gekauft. Anfangs wurde das Haus durch die Stadt, also durch unsere Steuergelder, in einen benutzbaren Zustand überführt. Unrühmliche Erwähnung fand das IKUWO als in der Nacht vom 09.-10.06.2018 aus dem IKUWO heraus Mitglieder einer örtlichen Studentenverbindung angegriffen wurden und die Täter mit dem Couleur eines der geschädigten in das IKUWO flüchtete. Die anrückende Polizei zog es anschließend vor, nicht weiter die Täter im IKUWO zu stellen. Die folgenden entrüsteten Reaktionen dürften dann wahrscheinlich nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, daß es am 19.07.2018 zu einer Durchsuchung des IKUWO kam. Die Folge war eine für die linke Szene typische Reaktion, nämlich sich nicht in Distanzierung zu ergehen, sondern sie führte zu deutschlandweiten Solidaritätsbekundungen, Demonstrationen in Greifswald und umfassenden Presseerklärungen, die sich gegen angebliche Hetzkampagnen und eine Verteufelung linker Freiräume zur Wehr setzten. Die Antworten auf eine kleine Anfrage seitens der AfD im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns im Anschluß an die Vorkommnisse offenbaren daneben jedenfalls ein erhellendes Bild. So attestierte die Landesregierung dem IKUWO, daß in dem Berichtszeitraum eine Vielzahl an Veranstaltungen mit klaren linksextremistischen Bezügen stattfanden. Weiterhin wurden diverse Straftaten in Verbindung mit Verantwortlichen des IKUWO aufgeführt. Davon völlig unbeeindruckt ist das IKUWO bis heute einer der zentralen Anlaufpunkte linker Szenearbeit in Greifswald.

Teil 2