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Das einstige Land bekannter Naturwissenschaftler und Ingenieure gibt es ebenso wie das vormalige Buch- und Leseland nur noch als Restbestand hochqualifizierter Eliten, kaummehr aber im Sinne einer breiten „Volksbildung“.

Bilanz der bundesdeutschen Schulen zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Zwanzig Prozent funktionale Analphabeten bei den unter Fünfzehnjährigen. Das ist politisch nirgendwo Thema. Mehr muss man nicht wissen, um die Situation einschätzen zu können, denn im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) dürften die Bestandsverluste ähnlich gravierend sein.

Offenbar reichen dank digitaler Informationssysteme immer weniger Spezialisten in Industrie, Technik, Medizin und Recht aus, um eine immer größere Verwaltungsmasse von Discounter-Konsumenten zu versorgen. Den Rest besorgen die globale Arbeitsteilung sowie die Unterhaltungsindustrie der TV- und Computermedien, die den Stumpfsinn der vielen Abgekoppelten kunterbunt zu unterhalten weiß – nicht zuletzt mit dem Effekt, dass die vielbeschworene Demokratie und die hochgehaltenen Grundrechte immer mehr Heranwachsenden völlig einerlei sind, solang nur der Super-Markt pünktlich öffnet und rund um die Uhr alle Screens bewegte Bilder zeigen.

Die Staatsquote in Deutschland betrug 2020 51,3 Prozent. Man kann das als eine Variante des Sozialismus auffassen. Der Staat unterhält sich selbst, also sich als Hofstaat, und der unterhält seine Klienten. Sicher, er investiert in Innovationen und Infrastruktur, aber der größte Teil geht für die Alimentierung von Schwachmaten drauf. 54 % der Staatsausgaben werden 2025 Sozialausgaben sein. Die Inklusionskampagne wird diese Tendenz verstärken.

Man erinnere sich: Wer hüben wie drüben eine Schule durchlief, der konnte im Ergebnis einer auf Inhalte und anwendungsbereite Kompetenzen orientierten Pädagogik, der es an Erziehung, also an Haltungen wie Anstrengungsbereitschaft, Selbstüberwindung und Leistungsorientierung gelegen war, nach zehn Jahren grundsätzlich richtig lesen, schreiben und rechnen; und er hatte den Eingang in die Welt der Natur- und Geisteswissenschaften gefunden.

Erwies er sich als talentiert, erarbeitete er sich das Abitur, damals noch ein „Reifezeugnis“, das heute kraft inflationierter Benotung als „Abi“ noch jedem ausgestellt wird, der einigermaßen aufgeschlossen die Oberstufe besucht. Die Bildungspolitik hat überdies das Kunststück vollbracht, immer eingeschränktere Fähigkeiten im Zensurenbild immer besser auszuweisen. Weil beispielsweise elementarsprachliche Fehlerquoten in Abituraufsätzen keine Rolle mehr spielen, sind so viele „Einserschnitte“ wie noch nie möglich. Alle sind über diese ungedeckten Schecks zunächst erfreut, dann aber verblüfft über hohe Abbruchquoten beim Studium.

Aber selbst für jene, die wenig wollen und wenig können, gibt es seit den Bologna-Reformen den Bachelor. Nicht mal Promovenden dürften beim Weg zum Doktor mangelndes Vermögen im Lesen und Schreiben sowie fehlende Allgemeinbildung im Wege sein. Das Prinzip Betreuung reicht bis zu höchsten Abschlüssen, schon weil die Politik meint: Mehr Abi,mehr Job! Was nicht funktioniert, wird eben dekretiert. Wer etwas nicht schafft, gilt als überfordert und gestresst. Da lässt sich rücksichtsvoll Abhilfe per Nachhilfe schaffen.

Es geht nicht allein um das Lesen und Schreiben als elementare Voraussetzung für die Teilhabe an Kultur und Demokratie: Klare Grammatik der Sprache ermöglicht erst die Klarheit der Gedanken, ganz abgesehen davon, dass sich Persönlichkeit zwar zunächst durch das „Outfit“, danach jedoch sogleich über Sprache ausweist. Die Curricula aber sind ausgedünnt. Wer immer noch von der Substanz des Wissens und Könnens ausgeht, wer auf das Lernen, Üben, Systematisieren und Wiederholen setzt, also Inhalte und echtes Können sichern will, wer all den Methoden wie Frei-, Gruppen- und Projektarbeit sekundäre Bedeutung zuweist, gilt schon lange als antiquiert oder gar reaktionär. Im Netz grassiert unter selbsterklärt „Linken“ das böse Wort vom „Grammatikfaschisten“ für jene, denen es um Sprachpflege zu tun ist.

Nur ein kennzeichnendes Phänomen: Die Schulbuchverlage halten kaum mehr Lesebücher bereit, da ja alles – und viel besser! – „integral“ zu behandeln wäre, vorzugsweise in Lehrbüchern, die exemplarisch das eine und das andere in einem hyperkinetisch aufgeregten Layout vereinen.

Das Gymnasium fungiert längst als neue Gesamtschule; und wer es nicht bis dort bringt, bekommt an den „Reste-Schulen“ mit Fördervereinbarungen Nachteilsausgleiche gewährt, die ihn zur vermeintlichen „Berufsreife“ führen – einem dieser euphemistischen Begriffskonstrukte, von denen es in der „Bildung“ eine Menge gibt, weil sie politisch zu einer Anthropologie verdonnert ist, die allen alles zutraut, wenn nur die richtige Methode in Anschlag gebracht wird.

Überhaupt erscheint das Politische gerade wieder wichtiger als das konventionell Unterrichtliche. Wesentlicher, als eine Schule für das Lesen und Schreiben zu sein, ist es, andere Titel nachzuweisen: Schule gegen Rassismus und Gewalt – Schule mit Courage, Schule gegen Homophobie, Schule für Demokratie und gegen Extremismus, Europäische Schule und so weiter und so fort. Ganz so, als gäbe es Schulen, die je das Gegenteil dessen wollten.

Eine echte Schule für Demokratie wäre jene, die ihre Schüler anspruchsvoll und herausfordernd auf ein Leben vorbereitet, in dem nun mal permanent zu lernen, zu arbeiten und kritisch zu urteilen ist. Diesem Anspruch wird die Schule im Allgemeinen nicht mehr gerecht. Deswegen erfindet ihr die Politik ersatzweise neue und schicke Etikettierungen.

Klar, es gibt Orthographie-Korrekturprogramme, und Excel-Tabellen rechnen längst von selbst; nur sollte, wer mit Texten oder Gleichungen umgeht, ein Grundverständnis von dem haben, was er da tut. Gewissermaßen mit Verstand und Augenmaß. Das Leben selbst ist kein Computerspiel.