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Im ersten Teil von Vom gespaltenen Volk – Das Bildungsbürgertum und die Straße widmeten wir uns der Figur des stereotypen Bildungsbürgers und seiner Rolle bei der Pflege unserer Kultur. Er konserviert diese zur Aufrechterhaltung seines eigenen Status‘, während er aktiv und passiv an der Erosion seines eigenen Kulturraumes beteiligt ist. Konträr zu diesem ist der patriotische Aktivist beschaffen. Seine Triebfeder ist das diffuse Bauchgefühl, seine kulturellen Wurzeln zu verlieren und Dinge in seinem Leben bewahren zu müssen, die er als erhaltenswert und essenziell erachtet. Die geistigen Verfallserscheinungen vor der eigenen Haustür präsentieren sich ihm täglich an einer Unzahl lebensweltlicher Beispiele. Seien es die Werte- und Orientierungslosigkeit der eigenen Jugend, die Umverteilung unglaublicher Summen für ideologische Projekte wie das „Gender-Mainstreaming“ oder Marketing für die europäische Einigung, das Dritte Reich als unterschwellig stets präsenter moralischer Fixpunkt, zunehmende Denk- und Sprechkorridore, die voranschreitende Zerstörung der Natur neben wirkmächtigen Öko-Trends, das sich wandelnde Stadtbild, der Import von alltäglichen Lebensmitteln aus den entlegensten Winkeln der Erde, die ethnische Zusammensetzung der Umwelt, der sinkende Lebensstandard oder das allgemeine Desinteresse an der eigenen Herkunft – für die Symptome des rapiden Wandels in der Welt hat er feine Antennen und leidet an ihnen.

Er fühlt ein Vakuum, das mit jenen losen Enden einer zerfallenden Welt verbunden zu sein scheint. Dieses entsteht durch die Erosion der eigenen, über-individuellen, kulturellen Identität. Ihrem Erhalt widmet er seinen Widerstand, investiert Zeit, Kraft und Geld in seinen Kampf, mobilisiert Mitmenschen, riskiert seine eigene Zukunft, liest und diskutiert entsprechende Literatur, erträgt Niederlagen und Enttäuschungen.

Die Attribute der eigenen Kultur – Architektur, Malerei, Kunst, Musik, Literatur und Bildhauerei – existieren in seinem Kosmos nur am Rande, wo es Berührungspunkte zu seinen eigenen Zielen gibt. Lediglich die Philosophie ist dem Aktivisten kein gänzlich unbeschriebenes Blatt. Er hat zu ihr ein funktionales Verhältnis. Solang sie seine intuitive Weltanschauung untermauert, wird sie gern rezipiert, wie selbstverständlich dem eigenen Kanon zugeordnet und auch entsprechend kommuniziert.

„Kultur“ gerät vor diesem Hintergrund zum Platzhalter, einer beliebigen Leerstelle, die als Projektionsfläche für die eigenen Sehnsüchte, das eigene Verlustgefühl, die eigene Identitätssuche dient, dabei aber weitgehend leer bleibt. Er pflegt somit eine „Metakultur“ – eine Beschäftigung damit, ohne diese mit Leben zu füllen. Der Aktivist wendet viel Geisteskraft auf, um ihr den angemessenen Platz im Denken, im Fühlen, im Volk zuzuweisen, wobei sie selbst eine nebulöse Blackbox bleibt. Schinkel, Haydn und Cranach spielen in seinem Kosmos lediglich marginale Rollen, sind nicht die Protagonisten, die Ehrfurcht wecken, zu neuen Leistungen inspirieren, demütig stimmen oder als Kraftzentrum fungieren – weder für das Volk, noch für ihn selbst. Viel zu stark sind die Fäden, die ihn mit dem verhassten Leben in der Moderne verbinden. Das Smartphone, der Kleidungsstil, das Vokabular, die Serie auf Netflix, die Tiefkühlpizza – sein Lebensentwurf weicht von dem des Hauptstromvertreters nur geringfügig ab. Die Phrasen, man wolle nicht Reaktionär sein sondern Revolutionär, der die Gegebenheiten annimmt und sich nicht in Utopien verliert, täuschen nur mühsam darüber hinweg, dass sein eigener Lebensstil weit weniger originell ist, als es seiner Selbstwahrnehmung als Avantgarde entspricht. Ihm fehlt die selbstverständliche Bindung an die Kultur, die dem verachteten Bildungsbürger zu eigen ist. Seine eigene „Metakultur“ verhilft ihm zu dem Selbstbild, seinem Antagonisten auf dem Feld der Kultur überlegen zu sein. Dabei verhält es sich jedoch wie beim selbst ernannten Geostrategen in der Kneipe oder wie beim „aufgeklärten Bürger“, dessen Informationspool sich aus Telegramkanälen speist – die Detailschärfe nimmt mit wachsender Distanz drastisch ab, was sich bei näherer Betrachtungsweise nicht als Weitsicht, sondern Plumpheit entpuppt.

Sollte das Deutschland der Zukunft, wie er es sich ausmalt, einmal Wirklichkeit werden, darf die Kultur keine leere Hülle mehr bleiben, muss der geistige Schatz unseres Volkes beizeiten geborgen, gepflegt, rezipiert werden. Da ihm selbst die Energie dafür, die Kenntnisse, die entsprechende Sensibilität oder der Bezug zur Kultur fehlt, ist der Aktivist auch auf den Bildungsbürger als Konservator und geistige Elite angewiesen, die über das entsprechende Spezialwissen verfügt, das einer solchen Kaste zu eigen ist.

Es ergibt sich hier ein Abhängigkeitsverhältnis, dessen sich keine der beiden Parteien bewusst ist: Der Bildungsbürger ist ökonomisch darauf angewiesen, dass sein kostspieliges Hobby „Kultur“ finanziert wird. Dafür braucht er den Arbeiter, den Mittelständler, die Wirtschaft mit ihren Überschüssen. Für den sozialen Rang, den er sich selbst beimisst, benötigt er eine von ihm als geistige Unterschicht empfundene Masse an Menschen, die durch seine Spezialkenntnisse vom Kulturbetrieb ausgeschlossen bleibt.

Der Aktivist empfindet die Leere, die eine kraftlose geistige Elite hinterlässt und arbeitet mit Hochdruck und meistens erfolglos daran, den Folgen dieses Zustandes metapolitische Wirksamkeit zu verschaffen. Er kämpft für den Erhalt des Abendlandes als Kulturraum, den Erhalt von Kultur und Tradition, für die Pflege jener geistigen Kräfte, von denen er sich eine mentale Bindekraft für das Volk als Alternative zu den Konsumprodukten aus Übersee verspricht. Dafür benötigt er perspektivisch die Kulturgüter, die der Bildungsbürger verwaltet – für sich selbst, um seinem Selbstanspruch als Prototyp eines sozialen Gegenmodells zum Normalbürger gerecht zu werden und gesellschaftlich, um an alte Fäden anzuknüpfen.

Für den Patrioten lässt sich daraus folgendes Fazit ziehen:

Es befindet sich eine breite Kluft zwischen der Realität und seiner Vorstellung eines kulturell prosperierenden Landes. Außerdem wird perspektivisch der Bildungsbürger auch in Zukunft in seiner Gegenwart die Straßenseite wechseln. Somit dürfte er zu dem Ergebnis kommen, dass sich seine Hoffnungen mittelfristig nicht erfüllen werden. Unbenommen bleibt die Erkenntnis, dass unserem reichen Kulturschatz eine wichtige Rolle zukommt – und sei es nur im Bestreben, den geistigen Tod unseres Volkes noch etwas hinauszuzögern. Erfreulich ist jedoch die Tatsache, dass diese Artefakte aus vergangenen Zeiten ohne Probleme mittelbar oder unmittelbar problemlos zugänglich sind. Das Internet überflutet die Welt nicht nur mit allerlei Unsinn, sondern ist auch ein Zugang zu Wissen und Kunst aller Art – beispielsweise in Form von Musik. Bücher finden sich in unglaublicher Zahl für wenige Euro. Konzerte, Museen, Ausstellungen, Lesungen existieren überall. Es braucht lediglich den Impuls, sich dem zu nähern. Das Ergebnis ist nicht die Aufsehen erregende Aktion, kein Skandal über den nächsten Nafri-Angriff, kein halber Prozentpunkt mehr für die AfD. Es ist das Mit-Leben-füllen unserer Kultur. Der Patriot erntet dafür keinen Beifall in den sozialen Medien und verpasst dem politischen Gegner keine peinliche Schlappe aber leistet einen stillen, nachhaltigen Beitrag für das, wofür er kämpft – den Erhalt des Abendlandes als Kulturraum mit lebendigen Traditionen, die den Menschen als Identifikationspunkt und Kraftquell dienen.

Thematisch anknüpfend:

Die Politik, die Metapolitik und die Philosophie

Linke im rechten Diskurs – Zwischen Kulturhegemonie, Straßenterror und Handlangertum

Wider die rechte Political Correctness