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Typologien zur Identifizierung bestimmter Personengruppen in unserer Gesellschaft haben seit jeher Hochkonjunktur – so auch im neurechten Diskurs. Alexander Gauland brachte David Goodharts Diktum der „Anywheres“ und der „Somewheres“ in den Diskurs ein, Lichtmesz und Sommerfeld beschrieben eine Vielzahl von Gestalten aus dem linken Spektrum, das Konflikt-Magazin versuchte sich an einer Typisierung von Liberalen und Rechten. Sie könnten ebenso einem vorchristlichen Pantheon oder der Archetypen-Lehre Carl-Gustav Jungs entspringen.

So kennt auch das Widerstandsmilieu ein breites Spektrum an Personen, die dem archetypischen Fundus eines Puppentheaters entstammen könnten. Dazu gehören der gutgläubige Schlafmichel und der raffgierige Kapitalist, der gemäß dem Marx’schen Diktum für 300% Rendite jedes Verbrechen bei Gefahr des Galgens begehen würde. Der aufrechte Patriot, der in der Tradition von Kreuzrittern und Freikorpskämpfern Tod und Teufel trotzt. Der impotente Konservative, der in Feuilleton und Parlament seine zittrige Stimme erhebt und dabei stets seinem Untertanenkomplex verhaftet bleibt. Der spindeldürre Antifaschist, der sich beim Steinewerfen auf Patrioten von den verhassten „Cops“ schützen lässt.

So sehr diese Herangehensweise dazu taugt, das Denken und die eigenen Beobachtungen zu strukturieren, so unzureichend eignet sie sich dazu, die Wirklichkeit adäquat abzubilden. Es ist müßig anzumerken, dass es sich dabei primär um grobe Denkmodelle handelt. Der Umgang mit ihnen verführt zur Verflachung des Denkens, zur undifferenzierten Beobachtung der Umwelt und zur Anpassung der Wahrnehmung – die Beobachtung soll lediglich in das zuvor angelegte Raster eingeordnet werden, um dessen Gültigkeit zu bestätigen.

Dennoch soll hier eine weitere Dichotomie hinzugefügt werden – der Bildungsbürger und der patriotische Aktivist von der Straße. Der Fokus liegt dabei auf der Verbindung, die beide zur eigenen Kultur haben und auf dem Abhängigkeitsverhältnis, in dem sich beide befinden, ohne zum jeweils anderen einen auch nur geringfügig positiven Bezug zu haben.

Als sich im ausgehenden Mittelalter erste Bevölkerungsschichten vom althergebrachten Dreiklang Bauern und Handwerker – Adel – Klerus emanzipierten, entstand mit dem Bürgertum eine neue, vielschichtige Bevölkerungsgruppe, die vielfach mit tradierten Lebensmodellen brach und sich in ihrem Anspruch auf Selbstbestimmung immer wieder gegen die alten Eliten behaupten konnte. Das Bürgertum differenzierte sich im Wandel der Zeit weiter aus – unter anderem entstand in der Mitte des 18. Jahrhunderts das Bildungsbürgertum, in welchem sich gebildete Berufsgruppen wie Geistliche, Professoren oder Ärzte sammelten. Diese Gesellschaftsschicht fungierte als intellektuelle Elite unseres Landes. Es soll hier nicht darum gehen, diese Entwicklung minuziös nachzuvollziehen.

Die Brandenburgischen Konzerte Johann Sebastian Bachs, die kolossalen Wagner-Opern, barocke Bildhauerkunst, die Geschichte des 30-jährigen Krieges, Dürers „Melancholie“, Kleists meisterhafte Erzählungen, Schillers „Ästhetische Erziehung des Menschen“, die Architektur von Sanssouci, die Philosophie Arthur Schopenhauers – über die Dekaden hinweg war es die Domäne des Bildungsbürgertums, die zahllosen Zeugnisse unserer Kultur hervorzubringen, zu pflegen, zu rezipieren, mit Leben zu erfüllen. Die Strahlkraft, die davon ausging, reichte in alle gesellschaftlichen Schichten und knüpfte so ein einigendes Band, das über das Vorgefundene in Form einer gemeinsamen Sprache, geteilter Sitten und gemeinsam erlebter historischer Gegebenheiten hinausreichte.

Über die Ursachen lässt sich endlos streiten – Fakt ist, dass das Bildungsbürgertum diese Funktion heute nur noch marginal erfüllt. Die Kunst, die heutzutage das Licht der Welt erblickt, kann der vergangener Zeiten nicht mehr das Wasser reichen. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten und das ist auch gut so, aber der Leser kann sich die Mühe machen, selbst zu überlegen, welche zeitgenössischen Bildhauer, Architekten, Maler, Komponisten und Dichter ihm überhaupt gegenwärtig sind. Häufig gilt der Bruch mit der Tradition als Wert an sich – dissonante Tonfolgen, asymmetrische Formen, die Verunsicherung der Rezipienten um ihrer selbst willen treten an die Stelle des Ideals, das seinen Ausdruck in der Kunst findet und das dem Beobachter als Inspiration dient.

Die Zeiten, in denen das Wirken genialer Köpfe aus der beschriebenen Intellektuellen- und Künstlerkaste in breiten Schichten rezipiert wurde, um von dort aus seine Impulse in das übrige Volk fortzusetzen, sind Geschichte. Die wirkmächtigen Prozesse haben sich auf die internationale Ebene verlagert und kulturelle Bildung ist für die heutigen Eliten nicht von Belang.

Auch der Globalismus und das Weltbürgertum haben in der deutschen Geistesgeschichte Tradition. Immanuel Kant träumte vom „ewigen Frieden“, der das Produkt einer selbstbestimmten, mündigen Menschheit sei. Schiller prophezeite „Alle Menschen werden Brüder“ im Taumel verzückter Freude als Grenzen überwindendes Band. Wie es scheint, haben gewisse Visionen über die Jahrhunderte ihre Wirkung entfaltet. Ob die Realität dem entspricht, was ihre Urheber beabsichtigt haben, bleibt fraglich.

Das Bildungsbürgertum schafft keinen Zeitgeist mehr und bringt keine Kunst hervor, die den eigenen, sehr begrenzten Rezipientenkreis überflügelt. Seine geistigen Kräfte scheinen erlahmt. Dennoch genießt die Pflege unseres kulturellen Erbes hier ungebrochen einen hohen Stellenwert. Kultur gilt als Statussymbol, als Aushängeschild der Zugehörigkeit zu einer elitären Schicht, die von den Großtaten vergangener Zeiten zehrt.

Die Vertreter des Bürgertums nehmen dennoch gesellschaftlich wichtige Positionen ein. Sie verwalten in Schlüsselpositionen die Umwandlung der Gesellschaft zu einer in einer inklusiven, grenzenlosen Welt lebenden, in der jeder scheinbar alles tun, lassen und sein kann. Für ihre Funktion als Handlanger werden sie fürstlich alimentiert. Die Stellwagenorgel, das Opernhaus, das Heer an subventionierten (Staats-)künstlern tragen sich nicht aus eigener Kraft – es sind die Mittel der verachteten arbeitenden Schicht, die hierfür großzügig in die Waagschale geworfen werden. Hier sehen wir die fadeste und dennoch vielleicht wirkmächtigste Form der Abhängigkeit – das Geld, das mühevoll erwirtschaftet wird, um wie von Geisterhand den Besitzer zu wechseln und eine Maschinerie zu bedienen, für oder gegen die zu entscheiden der Urheber besagter Mittel nie eine reelle Chance hatte.

Jedoch ist es nicht so, dass der prototypische Vertreter des modernen Bildungsbürgertums gemäß der heutigen Maßstäbe ein reicher Mann wäre – hinter der Fassade des eigenen elitären Selbstanspruchs verborgen ist nicht nur die geistige Substanz oft sehr gewöhnlich, sondern auch der Geldbeutel. Die wahren Inhaber jener sagenumwobenen Reichtümer, von denen man regelmäßig Kenntnis erhält, bekommt er ebenso wenig zu Gesicht wie der Maurer, der Bäcker oder der LKW-Fahrer. Es ist die Illusion eines elitären Status‘, die ihn trägt. Er kann es sich scheinbar leisten, mit aristokratischem Gestus den Handwerker, der in seiner Mittagspause eine Bockwurst im Bistro isst, auszublenden, als handle es sich um eine niedere, seiner Aufmerksamkeit nicht würdige Spezies. Zumindest so lange, bis der Abfluss verstopft ist oder die Heizung versagt.

Thematisch anknüpfend:
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https://aktion-nordost.com/linke-im-rechten-diskurs-zwischen-kulturhegemonie-strassenterror-und-handlangertum-teil-1/

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